ESPINN – Erklärbare, KI-basierte Simulation mittels Physics-Informed Neural Networks
Ob bei der Entwicklung neuer Computerchips oder der Herstellung winziger elektronischer Bauteile: Die Prozesse in der Halbleiterindustrie sind extrem komplex. Um sie zu verstehen und zu optimieren, setzen Forschung und Entwicklung heute aufwendige Computersimulationen ein. Diese Simulationen sind zwar sehr genau, benötigen aber oft viele Stunden Rechenzeit, manchmal sogar Tage. Datengetriebene Methoden wie klassische neuronale Netze, also Modelle Künstlicher Intelligenz, können solche Aufgaben zwar schneller lösen, benötigen dafür jedoch große Mengen an Mess- oder Simulationsdaten und liefern häufig Ergebnisse, die sich physikalisch nicht nachvollziehen lassen. Beides schränkt ihren praktischen Einsatz stark ein, insbesondere in Bereichen, in denen Zuverlässigkeit und Sicherheit entscheidend sind.
Das Projekt ESPINN setzt eine neue Technologie ein: sogenannte Physics-Informed Neural Networks (PINNs). Diese besonderen KI-Modelle kombinieren das Beste aus zwei Welten: Sie lernen aus Daten, berücksichtigen aber gleichzeitig die bekannten physikalischen Gesetze. Dadurch entstehen Modelle, die physikalisch korrekt und dabei deutlich schneller als klassische Simulationen sind. Mithilfe von PINNs lassen sich beispielsweise chemische Reaktionen oder Diffusionsprozesse auf atomarer bis makroskopischer Ebene simulieren – und das bis zu tausendfach schneller als bisher, wenn der Lernprozess abgeschlossen ist. Darüber hinaus entsteht im Projekt ein neuartiges Analysewerkzeug, das die Verlässlichkeit und Erklärbarkeit dieser KI-Modelle bewertet. Damit soll sich nachvollziehen lassen, warum ein Modell zu einem bestimmten Ergebnis kommt.
Ziel von ESPINN ist es, die Entwicklung und Anwendung von Physics-Informed Neural Networks so weit voranzubringen, dass sie in industriellen Simulationsprozessen praktisch nutzbar werden. Dazu entwickeln Forscherinnen und Forscher im Projekt vier miteinander verknüpfte Softwarelösungen, die unterschiedliche Aspekte der Halbleiterfertigung abbilden. Eine davon ist ein flexibles molekulardynamisches Simulationswerkzeug, das PINNs nutzt, um atomare Wechselwirkungen realitätsnah und gleichzeitig deutlich schneller als bisher zu berechnen. Aufbauend darauf entsteht ein PINN-Simulator für die Silizidierung, also den Prozess, bei dem Metallkontakte mit dem Halbleiter verbunden werden – ein entscheidender Schritt für die Leistungsfähigkeit von Mikrochips. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung PINN-Modells zur Simulation von Photoresist-Prozessen, das helfen soll, die Präzision bei der Belichtung und Strukturierung von Mikrochips zu erhöhen. Ergänzend dazu entsteht ein Analyse- und Qualitätstool, das die Funktionsweise und Verlässlichkeit der verschiedenen PINN-Modelle untersucht und bewertet. Es liefert damit eine Art „Gütesiegel“ für die Zuverlässigkeit und Erklärbarkeit der neuen Methoden und soll so den Einsatz von PINNs auch in sensiblen Anwendungsbereichen wie Medizin, Sicherheit und Luft- und Raumfahrt erleichtern.
Fraunhofer SCAI bringt seine langjährige Erfahrung in der Entwicklung physikbasierter und datengetriebener Simulationsmethoden für virtuelles Materialdesign auf Quantenebene in das Projekt ein. Neben der Software Tremolo-X, die quantendynamische Simulationen für die Halbleiterentwicklung ermöglicht, hat SCAI bereits PINN-Modelle zur Vorhersage von Materialeigenschaften von Oxidgläsern erfolgreich eingesetzt. Hinzu kommt die Expertise in datengetriebenem Moleküldesign und in der Vorhersage von Moleküleigenschaften auf Basis von Modellen des maschinellen Lernens.
Das Fraunhofer-interne Programm PREPARE fördert das Projekt für drei Jahre. Dabei kooperiert Fraunhofer SCAI eng mit Fraunhofer HHI und Fraunhofer IISB.
Laufzeit: 05/2024 bis 04/2027